INTERNATIONALER NONINO-PREIS 1990
Erik Orsenna
“Komische Oper” und “komischer Roman” von hoher intellektueller Akrobatik, angetrieben von unerschöpflichem und unvorhersehbarem erzählerischem Witz, von einer aufgeblähten und überfließenden Phantasie, die aber gleichzeitig glücklich zurückgehalten wird, durchzogen von einem allgegenwärtigen Humor und von einem sprühenden, unwiderstehlichen Schwung zeichnet “L’ esposizione coloniale” („Gabriel II. oder Was kostet die Welt“) ein großartiges Gemälde in Form eines paradoxen und verrückten Berichts über die Phänomenologie des französischen Bewusstseins in den Jahrzehnten von den beiden Weltkriegen bis zum Ende des Kolonialismus. Es ist ein langes “Capriccio”, eine launige Erzählung, das die gegenwärtige französische Belletristik auch durch ihre erfinderische Sprache bereichert.
In den Ereignissen, die das Leben von Gabriel Orsenna charakterisieren, dem sexsüchtigen Pneumatologen, dem aufrichtigen, inkohärenten und glücklichen Bigamisten, der den Übergang vom Zeitalter des Naturkautschuks zum synthetischen Kautschuk erlebt (und gleichzeitig die Verschiebung der positivistischen Achse in Richtung auf die Rätsel Sigmund Freuds), in einer ununterbrochenen Aufeinanderfolge halb spaßhafter, halb ernster Abenteuer des clownhaften Gummi-Mannes, der zwischen Brasilien nach Indochina hin- und herreist, entwirft der Autor eine vielschichtige, satirische Allegorie der Veränderung und des Wandels der Gesellschaft in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, die in den Mäandern der neurotischen Zwangsvorstellungen und im plötzlichen Wechsel des Lebenstriebs seines ironischen Protagonisten, Marionette und rundliches “enfant du siècle”, dargestellt wird.