NONINO-PREIS "AN EINEN MEISTER UNSERER ZEIT" 1999

Jorge Semprún

Jorge Semprùn hat nicht nur in seinem unvergänglichen literarischen Werk, sondern auch am eigenen Körper die tragische und verheerende Bedrohung durch den Totalitarismus, den Leviathan unseres Jahrhunderts, gesehen und erlebt. Er hat gegen ihn und gegen den Faschismus für die Freiheit im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft, gegen den Nationalsozialismus, indem er mit unerschütterlicher Standhaftigkeit der Hölle des Lagers entgegengetreten ist (“Tacere è impossibile” [„Schweigen ist unmöglich“], “La scrittura o la vita” [„Schreiben oder Leben“] Verlag Guanda) und gegen den Kommunismus, an den er geglaubt hatte und dessen Tyrannei und Gewalt er gnadenlos entlarvt hat, ohne – im Gegensatz zu vielen, vielen anderen – die Ideale von Solidarität und Gerechtigkeit zu verleugnen, deretwegen er an die Idee geglaubt hatte und die ihm die Kraft verliehen hatten, für die Freiheit und die Demokratie zu kämpfen. Jorge Semprùn ist nicht nur durch seinen rauen und kraftvollen Erzählstil, der einem nichts erspart und der die Würde des Menschen und sein Abenteuer an den Extremen der Geschichte physisch erfahrbar macht, ein großer Schriftsteller („Il grande viaggio“ [„Die große Reise“] Verlag Einaudi), sondern auch ein Zeitzeuge unseres Jahrhunderts, seiner Höllen und seiner Hoffnungen, ein großer Intellektueller, der uns zum Innersten der Intelligenz, und ein großer Erzähler, der uns zum Innersten der Leidenschaften führt. Er ist – gegen viele fanatische reaktive und reaktionäre Zynismen – ein Beispiel der „pietas“ gegenüber anderen und sich selbst, des brüderlichen Verstehens der Größe und der Irrtümer des Menschen und der nie zu unterdrückenden Hoffnungen auf eine Erlösung.