an ‘einen Meister unserer Zeit’

Giorgio Agamben

 

BEGRÜNDUNG

Seine Nachforschungen, die immer nach dem Ursprung suchen, reichen von der Sprache bis zur Metaphysik und von der Ästhetik bis zur Ethik. Giorgio Agamben definiert sich selbst als Epigone wegen seiner intensiven Lebenserfahrung mit den größten Freidenkern seiner Zeit; er knüpft an die Arbeit und die Ideen von Michel Foucault an und gemäß einer Intuition von Biopolitik, entwickelt er den Begriff des Homo sacer, für den das Leben heilig oder tödlich ist, aber nicht opferbar. Er zeigt die Evolution auf und beschreibt den Menschen aus der Antike mit „können“, den modernen Menschen mit „wollen“, da er sich durch seine Selbstgerechtigkeit über die Menschenrechte und das göttliche Recht hinwegsetzt. Dadurch wurde der Weg zur Ära der Völkermorde geebnet. Um sichtbar zu werden, muss die Gesellschaft zwischen den beiden gegensätzlichen Prinzipien von Gesetz und Anomie kämpfen. Oft verwandelt Agamben seine philosophischen Ansätze in reine Poesie, die eingebettet ist in die Natur. Bewundernswert ist seine jüngste Veröffentlichung mit dem Titel “Autoritratto nello studio”, ein Auszug daraus: „Das Gras, das Gras ist Gott. Im Gras – in Gott – finde ich all jene wieder, die ich geliebt habe. Für das Gras und im Gras und wie das Gras habe ich gelebt und werde ich leben.“

Der Preis wird überreicht von Antonio R. Damasio

 

LEBENSGESCHICHTE

Giorgio Agamben (geb. 1942) beendet 1965 sein Jurastudium in Rom mit einer Dissertation zum Politischen Gedanken von Simone Weil. In den Jahren 1966 und 1968 nimmt er an Seminaren teil, die Martin Heidegger über Heraklit und Hegel in Le Thor veranstaltet. 1974 geht er nach Paris, lehrt als Italienisch-Lektor an der Université de Haute-Bretagne, um dann Linguistik und Kultur des Mittelalters zu studieren. Unter anderem pflegt er freundschaftliche Beziehungen zu Pierre Klossowski, Guy Debord, Elsa Morante, Pier Paolo Pasolini (in Pasolinis Film “Das 1. Evangelium-Matthäus” spielt er die Rolle des Apostels Philippus), Italo Calvino und Giorgio Caproni. Durch die Vermittlung von Frances Yates beginnt er 1974-75 ein Forschungsprojekt am Warburg Institute in London. Hier arbeitet er an seinem zukünftigen Buch: Stanze. La parola e il fantasma nella cultura medievale (Einaudi 1977). Deutsche Ausgabe: Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur (2005). 1978 kehrt er nach Italien zurück und wird – im Auftrag des Verlegers Einaudi – Herausgeber der italienischen Ausgabe der gesammelten Schriften von Walter Benjamin. Von 1986 bis 1993 ist Agamben Directeur de Programme am Collège International de Philosophie in Paris. 1988 – 1992 lehrt er als Professor für Ästhetik an der Universität Macerata. Von 1993 – 2003 ist er Professor für Ästhetik an der Universität Verona. Ab 1994 übernimmt Agamben regelmäßig Gastprofessuren in den USA. 2003 wird er zum Distinguished Professor der New York University ernannt, legt aber sein Amt nieder, um gegen die von der US-Regierung gegen ausländische Staatsbürger verhängten Kontrollinstrumente zu protestieren (Fingerabdrücke, Dokumentation). Seine Professur für Theoretische Philosophie an der Universität Venedig IUAV hat er niedergelegt. Ab den 1990er Jahren gilt sein Interesse der politischen Philosophie und dem Begriff der Biopolitik. Durch eine neue Interpretation der aristotelischen Politik und des Gedankens von Michel Foucault, von Hannah Arendt und Carl Schmitt entwickelt er eine Theorie des Verhältnisses von Recht und Leben und eine Kritik des Souveränitätsbegriffs, den er im ersten seines auf vier Bände angelegten Werkes Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben (Originalveröffentlichung 1995 bei Einaudi; deutsche Übersetzung 2002) verdeutlicht. Es erscheinen Die Idee der Prosa (1987, Neuauflage 2003), Bartleby oder die Kontingenz (1998), Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge (2003), Ausnahmezustand (2004), Profanierungen (2005), Signatura rerum. Zur Methode (2009), Das Sakrament der Sprache (2010), Herrschaft und Herrlichkeit (2010), Der Mensch ohne Inhalt (2010), Höchste Armut. Ordensregeln und Lebensform (2012), Kirche und Reich (2012), Opus Dei. Archäologie des Amts (2013), Gusto (Quodlibet 2015) und Stasis. Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma (2016). Weitere Veröffentlichungen: Die kommende Gemeinschaft (2003), Das Offene. Der Mensch und das Tier (2003), Kindheit und Geschichte. Zerstörung der Erfahrung und Ursprung der Geschichte (2004), Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief (2006), Die Sprache und der Tod. Ein Seminar über den Ort der Negativität (2007), Die Macht des Denkens. Gesammelte Essays (2013), L’uso dei corpi (Neri Pozza 2014), Pulcinella ovvero Divertimento per i ragazzi (Nottetempo 2015, Neuauflage 2016), Che cos’è la filosofia? (Quodlibet 2016), Che cos’è reale? (Neri Pozza 2016), Karman (Bollati Boringhieri 2017), Autroritratto nello studio (Nottetempo 2017). Er leitet für den Verlag Neri Pozza die Reihe “La Quarta Prosa” und ist Herausgeber von Walter Benjamins Werk Baudelaire. Un poeta lirico nell’età del capitalismo avanzato (2012). Seine Bücher erschienen auf Englisch, Spanisch, Deutsch, Französisch, Türkisch, Arabisch, Portugiesisch, Russisch, Norwegisch, Schwedisch, Niederländisch, Slowenisch, Kroatisch, Rumänisch, Chinesisch, Japanisch und Koreanisch.